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AVIVA-BERLIN.de im November 2024 - Beitrag vom 22.08.2012


Als Großvater Rita Hayworth liebte - Ein Film von Iva Svarcovà aus dem Jahr 2001. Ab 21. August 2012 auf DVD
Laura Wösch

In einer skurril-melancholischen Komödie erzählt die Regisseurin die Geschichte einer EinwandererInnenfamilie, die im Westdeutschland der Siebziger Jahre nach einem neuen Lebensmittelpunkt sucht.




Anlässlich des Jahrestags der gewaltsamen Niederschlagung des "Prager Frühlings" am 21. August 1968 erscheint exklusiv bei Basis-Film der vielfach ausgezeichnete Spielfilm von Iva Svarcová aus dem Jahr 2001 auf DVD.


"Ein kleiner Schritt für mich, ein großer Schritt für die Menschheit."

Während Neil Amstrong seine ersten Fußabdrücke auf dem Mond hinterlässt, übertritt Hannahs (Karen Fischer) Familie, kurz nach dem gewaltsamen Ende des Prager Frühlings, die Grenze ihres Herkunftslandes. Was die Familie hinter dem Grenzposten erwartet, ist ebenso unbekanntes Terrain: das Wirtschaftswunder Deutschland. Hannahs Grenzüberschreitung in eine neue Welt bleibt jedoch von der Menschheit unbeobachtet - alle bestaunen die Astronauten im All, während das Leben einiger Menschen auf Erden weniger glamouröse Bahnen einschlägt, sich deren Zentrum verliert.

Hannah und ihre Familie emigiriert bei Nacht, ihr Ziel bestimmt der Zufall eines Münzwurfs. Den geliebten Großvater müssen sie in der Heimat zurücklassen. Eine solche Strapaze komme für einen alten Herrn wohl nicht mehr in Frage. "Eine Emigration dauert manchmal ein ganzes Leben", erklärt er seiner Enkelin. Auf Großvater Zigmund (Vlastimil Brodský) konnte sich Hannah stets verlassen wie auf den allabendlichen Moment, wenn der Mond am Himmel auftaucht. Seine Überzeugungen waren manifest, an ihnen entlang konnte Hannah sich ihre eigenen Meinungen bilden. Dass sie dem Verfassungschutz in Deutschland seine kommunistische Vergangenheit besser verschweigen hätte sollen, sieht Hannah nicht ein. Auch ihre Schwester Maruschka (Veronica Albrecht) verhält sich wenig diplomatisch und ergibt sich den Verwirrungen ihres neuen Lebens. "Ich will nach Hause" sagt sie permanent. Zunächst auf Tschechisch, dann auf Deutsch, später verweigert sie verbalen Austausch. Emigrieren macht keinen Spaß. Vater Kuba (Vladimír Hajdu), ein in der CSSR verfolgter Intellektueller, muss sich nun auf dem Bau sein Geld verdienen, Mama Lida (Ewa Gawryluk) ergibt sich dem Konsumrausch, Tochter Hannah plappert antikapitalistische Parolen nach.

Regisseurin Iva Svarcová zeichnet in ihrem Film Bilder zweier Gesellschaften, die sich politisch wie ideologisch im Widerspruch zueinander entwickeln. Während sich in den Nachbarländern der Sozialismus zunehmend ausbreitet, boomt in Westdeutschland der Kapitalismus. Iva Svarcová, geboren in der CSSR, greift dabei auf ihre eigenen Erlebnisse aus jener Zeit zurück, in der sie als Kind ihre Heimat in Richtung Deutschland verlassen musste. Ihre Erfahrungen spiegeln sich in der Erlebniswelt ihrer Hauptprotagonistin Hannah wieder. Deren Ansichten sind jedoch weniger diplomatisch, mehr ehrlich und schonungslos. An jener Stelle, an der Hannahs Weltbild bereits schemenhafte Formen angenommen hatte, ist nun nur mehr Platz für Trotz und Melancholie. Sie fühlt sich betrogen. Auch die Verschwiegenheit ihrer Schwester Maruschka veranschaulicht die konsequente Überforderung. Was den Schwestern bleibt, ist ein ver-rücktes Weltbild, dessen Konturen erst nach und nach neu gezeichnet werden müssen. Für zwei kleine Mädchen eine große Aufgabe.

Ambivalent bleibt auch Scarvocás Blick auf die westdeutsche Gesellschaft. Sie spielt mit dem Klischee der bigotten Kleinfamilie, die am Mittagstisch betet, aber untereinander nicht viel zu sagen hat, der Wagnerianer im gegenüberliegenden Wohnblock hingegen wird nicht zwangsweise als Altnazi abgestempelt. Fast pädagogisch stößt die Regisseurin Hannah behutsam auf Dinge, die ihr helfen sollen, den Blick auf die Welt selbst zu schärfen. Wohl oder übel muss Hannah lernen, ohne die ideologische Instanz des Großvaters leben zu können. Jedoch erst nach dessen Tod begreift sie, dass sie die Verantwortung für ihr Leben selbst in die Hand nehmen, sie sich selbst Mittelpunkt sein muss. Für sie bedeutsame Schritte, sind womöglich nur kleine Schritte für die Menschheit, kommt sie zum Schluss und musste dafür nur ihre eigene Umlaufbahn verlassen.

Zur Regisseurin: Iva Svarcová, geboren 1961 in Tschechien, studierte Film an der DFFB. Sie wirkte als Regisseurin, Drebuchautorin und Produzentin an vielen Kurzfilmen mit, unter anderem "2 oder 3 Dinge, die ich von ihm weiß" (2004), "Blick durchs Fenster" (1994), "Böhmische Dörfer" (1994), "Mulo - eine ''Zigeuner''-Geschichte" (1993), "Schalom, und Guten Tag, Tatjana" (1991) und "Die Frau seines Lebens" (1990). Ihre Arbeiten wurden mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet, darunter dem Publikumspreis Bester Spielfilm auf den Internationalen Grenzland-Filmtage Selb, dem Bundeskurzfilmpreis, dem Prix Futura, dem Prix Europa und dem Max Ophüls Preis. Ihr Kinodebut "Als Großvater Rita Hayworth liebte" wurde 2000 auf dem FilmFestival Cottbus uraufgeführt und gewann den ersten Preis im Wettbewerb des Kinder- und Jugendfilms.

AVIVA-Tipp: Svarcová skizziert ein äußerst vielschichtiges Weltbild, das sich gleichermaßen aus einer Außen-, wie Innenansicht entwirft. Die tendenziell kühle Realität von EinwandererInnenfamilien taucht sie in ein wärmendes Licht, ohne die Realität komplett zu verschleiern. Entstanden ist ein melancholisch-liebevoller, undogmatischer Film über das Fremdsein und Erwachsenwerden.

Als Großvater Rita Hayworth liebte
Ohne Ländercode
Buch und Regie: Iva Svarcová
DarstellerInnen: Karen Fischer, Vlastimil Brodkský, Veronika Albrechtová, Ewa Gawryluk, Vladimir Hajdu, Charles Bauer, Dagmar Manzel, Jiri Menzel
Verleih: Basis-Film Verleih GmbH
VÖ: 21. August 2012
Laufzeit: 87 Minuten
Technische Details:
Bildformat: 16:9 (1:1,85)
Tonformat: Dolby Digital 2.0/5.1
Sprachen: OF in tschechisch und deutsch, mit abwechselnden deutschen und tschechischen Untertiteln.
FSK ab 6 freigegeben
DVD-Start: 21. August 2012
www.basisfilm.de


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Beitrag vom 22.08.2012

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